Die Novemberkolumne :Über Leben und Tod



Über Leben und Tod
 
Kaum ein Thema in unserer Gesellschaft ist so tabuisiert wie der Tod. Die meisten Menschen beschäftigen sich erst damit, wenn Sie selbst schwer erkranken oder ein naher Angehöriger stirbt. Und dann stellt man sich viele Fragen: Wie habe ich gelebt? Habe ich alles gelebt, was ich in diesem Leben verwirklichen wollte? Gibt es noch Menschen, mit denen ich noch was zu bereinigen habe? Gibt es da jemanden, dem ich nicht gesagt habe, wie viel er mir bedeutet? Was hätte ich gerne anders gemacht? Und so weiter.

Warum ist es so wichtig, sich mehr mit dem Thema Tod auseinander zu setzen?

In unserer Gesellschaft, in der wir so früh darauf programmiert werden, Leistung zu erbringen, bleibt kaum Platz für diese Fragen. Nur selten wird uns die Begrenztheit und Endlichkeit unseres Daseins hier bewusst. Die Medien und die Industrie machen einem vor, man müsse immer jung, leistungsfähig und stark sein. Und auch in den Firmen zählt Leistungsfähigkeit mehr als (Lebens-) Erfahrung.

Erst neulich las ich einen Ausschnitt aus dem Brief einer älteren Dame, der mich sehr berührt hat. Sie schreibt: „Könnte ich mein Leben nochmals leben, dann würde ich das nächste Mal riskieren, mehr Fehler zu machen. Ich würde mich entspannen, lockerer und humorvoller sein als dieses Mal. Ich kenne nur wenige Dinge, die ich ernst nehmen würde. Ich hätte mehr echte Schwierigkeiten als eingebildete. Ich würde mir nicht so hohe Stellungen erarbeiten, es sei denn, ich käme zufällig daran. Müsste ich es noch einmal machen, ich würde einfach versuchen, immer nur einen Augenblick nach dem anderen zu leben, anstatt jeden Tag schon viele Jahre im Voraus.“

Wer bringt uns heute noch bei, dass es essentiell für unsere Lebensqualität, für unsere Echtheit ist, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, zu erspüren und sie auch (aus-)zu leben? Damit zu experimentieren, sich zu probieren und auch „Fehlversuche“ mit Humor und einer gewissen Gelassenheit hin zu nehmen? Dass Fehler im Leben erlaubt sind, dass es um die Qualität der Erfahrungen geht, dass es darum geht sein „Sein“ auszudrücken?

Die Verdrängung des Themas Tod verführt dazu, starren Strukturen in der Gesellschaft Folge zu leisten. Uns wird von klein auf beigebracht, dass es wichtig ist, Leistung zu erbringen, im Leben stark zu sein, sich durchzusetzen und sich behaupten zu müssen. Dass man es „zu etwas bringen“ muss. Und ich sage nicht, dass dies grundsätzlich verkehrt ist. Aber es ist nur die eine Seite der Medaille. Denn durch unsere einseitige Ausrichtung auf das Leistungsprinzip ist in unserer Gesellschaft etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Diese Lücke wird dann mit Konsum gefüllt, dessen Befriedigung leider nie lange genug anhält. Und schon befindet man sich im Hamsterrad von Schaffen und Konsumieren. Und wenn ein Ziel erreicht ist, hetzt man schon zum nächsten. Hat man Glück, stolpert man irgendwann. Dann passiert irgendwas Unvorhergesehenes, etwas, das uns aus den Bahnen wirft, das uns innehalten lässt und uns einen Blick darauf gönnt, was im Leben wirklich wichtig ist.

Wie sehr vertreten Sie sich und Ihre Wertigkeiten im Leben? Was geben Sie Ihren Kindern mit? Und wie gestalten Sie die Qualität Ihrer Beziehungen?

Gerade die Beziehung zu unseren Mitmenschen dient uns als Spiegel. Wie viel Liebe, Mitgefühl und Authentizität  bringen Sie mit ein und was kommt zurück? Leben Sie in einem Miteinander oder eher nebeneinander her? Können Sie sich, Ihre wahren Bedürfnisse, Interessen, Sehnsüchte und Träume verwirklichen? Geben Sie sich Raum dafür? Lieben Sie sich selbst genug, um sich das zuzugestehen?

Gönnen sie sich die Freiheit, sich kleine Auszeiten zu nehmen, in sich rein zu spüren. Fragen Sie sich, was sie heute gerne erleben wollen. Ob sie – bewusst - Zeit mit Ihren Kindern oder dem Partner verbringen wollen, ein neues Projekt starten, ein Eis genießen, einen Kurs besuchen oder einfach nur in die Natur gehen wollen. Fangen Sie im Kleinen an, Ihre Wünsche wahrzunehmen und zu verwirklichen. Beginnen Sie, ihrem Sein Ausdruck zu verleihen, damit Sie am Ende Ihres Lebens sagen können: „Ja, ich habe gelebt, bewusst und intensiv, ich habe aus den Vollen geschöpft. Müsste ich es noch einmal machen, ich würde es wieder so tun.“

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